Softkey, the Art of Sensibly Touching the Piano


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Softkey 2005
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F. Chopin, Étude Opus 25/1 & Prélude Opus 28/8.

Der erste Eindruck.
In meiner Jugend, als ich die Oberstufe des Gymnasiums besuchte,
glaubte ich vom Notenbild her eine große Ähnlichkeit zwischen
Chopins Étude op. 25, nr. 1 in A flat Major (As Dur)
und seinem Prélude op. 28, nr. 8 in f sharp minor (fis moll)
zu erkennen:
Beide Kompositionen weisen eine auf den ersten Blick verwirrende
Fülle von kleingestochenen Ziernoten und
durch Normaldruck hervorgehobene Melodieführungen auf.

Die Klangwirkung.
Selbstverständlich war ich mir stets des von Grund auf
verschiedenen Stimmungsinhaltes der beiden Stücke bewusst:
die Étude in As Dur ist eine der freundlichsten und melodiösesten
Klangstrukturen der gesamten Klavierliteratur.
Man glaubt in ihr die Noblesse der Gräfin Marie d´Agoult wiederzufinden,
der das gesamte op. 25 gewidmet ist.
Nur Schubert schenkte uns mit seinem Impromptu in Ges Dur einen Klaviergesang,
der mit seiner Innigkeit das Niveau der As Dur Étude erreicht.
Das fis moll Prélude hingegen ist ein Tongemälde,
das vor der Romantik undenkbar gewesen wäre.
Es besitzt einen eher düsteren, wehmütigen Grundcharakter
und ist ein wesentlich reiferes, harmonisch komplexeres Werk
als die in Chopins Jugend komponierte Étude.

Die Feinmotorik.
Nach dem detaillierten Studium der Étude im Herbst 1999
und des Préludes im Frühling 2000
erkannte ich aber, dass auch die Spieltechnik der beiden Stücke
vollkommen verschieden ist:
Erstens bilden die kleingestochenen Ziernoten
in der Étude für beide Hände akkordische Progressionen
im Prélude hingegen diatonische und chromatische,
zumindest für die rechte Hand.
Zweitens, und hier liegt der Hauptunterschied,
werden die Melodiebögen
bei der Étude vom 5. Finger der Rechten hervorgehoben,
beim Prélude aber mit dem Daumen.
Ähnliches gilt auch für die Linke:
wichtige Bassfortschreitungen sind bei der Étude
dem 5. Finger der linken Hand anvertraut.
Bei meinem Fingersatz für die Sechzehntel-Triolen der Linken
mit anschließender Achtel im Prélude
(meist 1215, gelegentlich 1214 oder bei weiten Lagen 1315)
ist dagegen auch der Daumen der Linken sehr beschäftigt.
Chopin schreibt eine Betonung jeweils der ersten Sechzehntel vor.

Hinweise zum Üben.
Beide Stücke klingen durchaus
auch in gemäßigtem Tempo gut.
Das Prélude muss zunächst in ganz langsamer Geschwindigkeit
und pedallos beherrscht werden,
wobei der Daumen der Rechten der Melodie entsprechend
liegenbleiben muss. Man hüte sich jedoch davor,
auch den 5. Finger als Oktav-Verstärkung liegen zu lassen,
weil dadurch die erforderliche extreme Lockerheit der Rechten verlorengeht.
Wesentlich ist beim Prélude ein Erfassen der Struktur:
Jede der Figuren aus jeweils acht 32-stel Noten entsteht
durch Zerlegung eines Akkordes (1.,2.,5. und 6. Note)
mit eingefügter diatonischer oder chromatischer Umspielung
der 5. Note (Bestandteil des Akkordes) durch die 3. und 4. Note,
die nicht zum Akkord gehören.
Wenn man diesen Aufbau des Parts der Rechten erfasst hat,
kann man die Melodie zur Vorübung und Grifflagen-Festigung
unter Elimination der 3. und 4. Ziernote
als Abfolge von je einem vierstimmigen Akkord (punktierte Achtel)
und einer Oktave (Sechzehntel) spielen.
Den Part der Linken übe man vorerst separat.
Dort fällt auf die ersten vier 32-stel der Rechten
eine Sechzehntel-Triole, auf die zweiten vier 32-stel der Rechten
eine Achtel Note.
Bei der Étude wird man wohl von Beginn an das Pedal hinzunehmen,
weil es infolge der ungewöhnlich weitgespannten Figuren
(besonders im ausdrucksgesteigerten Mittelteil)
unmöglich ist, die Melodietöne mit dem 5. Finger zu halten.
Wichtig ist horizontale Lockerheit beider Handgelenke
und keine Scheu vor Mitbewegung der Arme bei den
rollenden Handbewegungen zur Bewältigung der weiten Lagen.
Zur adäquaten Gestaltung der kleingestochenen akkordischen Figuren
müssen die ersten vier Finger beider Hände
so sanft wie möglich über die Tasten abrollen ohne zu hacken.
Für die beidhändigen großen Akkord-Zerlegungen
am Pianissimo-Schluss braucht man die dafür charakteristische
Geschmeidigkeit des Daumenuntersatzes und der Handgelenke.
Dies ist aber im Grunde nicht das Thema dieser Étude,
sondern von op. 10/8 in F Dur für die rechte
und von op. 10/12 in c moll für die linke Hand.

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